Yang-Jiechang

- Der längste Tag -

19.06.02 - 28.07.02


Der längste Tag eines jeden Jahres ist die Sommersonnenwende am 21. Juni. Der längste Tag ist auch der Titel der Installation, die Yang Jiechang anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Kunstverein Nürtingen an eben jenem Datum eröffnete. Der längste Tag ist außerdem eine Allusion an den Titel des bekannten Kriegsfilms, der den Kampf der Alliierten und den Widerstand der Küstenbesatzung im Zweiten Weltkrieg zeigt.

 

In diesen einleitenden Sätzen sind bereits wesentliche Charakteristika der Arbeitsweise Yang Jiechangs enthalten. Zum einen werden zufällige Gegebenheiten des Ortes zu tragenden Elementen seiner Werke, die häufig als Arbeit in situ konzipiert sind. Zum anderen spielt die Wiederholung, Überlappung und Überschneidung disparater Bilder eine wesentliche Rolle.

 

Sein ursprüngliches Konzept sah nur das Aufbringen der Zeichnung einer Boeing 767 der American Airlines direkt auf die Wände des Kunstvereins vor. Als eine Fortsetzung seiner Multimedia Installationen "I Saw it in the Sky" und "A Swiss Knife", die er auf der Kwangju Biennale in Korea 2002 zeigte, wählt Yang die Attentate des 11. September 2001 als Thema. Er interessiert sich hierbei aber nicht für die Aspekte des Terrors und Schreckens, sondern für Durchlässigkeit und Fragilität von Hightech, komplizierten logistischen Apparaturen und gesellschaftlichen Strukturen westlicher Systeme, hier symbolisiert durch eine Boeing 767. Das Gegenstück dazu ist ein Schweizer Messer, ein denkbar einfaches Werkzeug, das an den sensiblen Stellen des Systems eingesetzt, zur Waffe in der Hand der Attentäter wurde. Zeichnungen einer Boeing mit Akupunkturpunkten und eines Schweizer Messers nehmen hierauf Bezug.

 

Während Yang sich dem Thema auf der Kwangju Biennale durch eine Kombination von Wandzeichnung und Slowmotion Video näherte, bezieht er im Kunstverein Nürtingen die vorgefundenen örtlichen Gegebenheiten in die Installation ein. Der graue Teppichboden in den Räumen des Kunstvereins, den er anfangs als störend empfand, wird schließlich zum tragenden Element seiner Arbeit. Mit einem Lötkolben brennt er den Plan des Pariser Flughafens Charles de Gaulles 2 F in den Teppich. Außer dieser schematischen alle drei Räume füllenden Fußbodenzeichnung ist nur eine blassgraue perspektivisch verfremdete Bleichstiftzeichnung einer Boeing 767 direkt auf die Wand aufgebracht. In einem weiteren Raum zeigen vier gerahmte Zeichnungen eine Boeing mit Akupunkturpunkten, ferner ein Schweizer Messer. Der letzte Raum ist schließlich vom schrillen und krachenden Geräusch eines falsch gepeilten Transistorradios erfüllt, das der Künstler zufällig in den Räumen des Kunstvereins vorfand. Der Besucher ist an das Startgeräusch einer Boeing erinnert.

 

Yang Jiechang hat auch den Außenraum des Kunstvereins in seine Arbeit mit einbezogen. Im Gegensatz zu der sparsamen und verhaltenen Sprache der Installation im Innenraum, hat Yang hier mit kräftigen Farben und effektvollen Mustern gearbeitet. Der Künstler hat den verwaisten halbrunden Vorplatz mit seinem runden Betontisch und Betonhockern mit arabisch anmutenden Ornamenten bemalt. Zwei bunte orientalisch wirkende Fahnen wiederholen die Hauptmotive der Ausstellung, eine Boeing 767 und ein Schweizer Messer.

 

Yang Jiechangs Stellungnahme zum emotional und politisch geladenen Thema des 11. September ist lakonisch und bietet dem Betrachter nur wenig Anhaltspunkte. Der Künstler bezieht keinen politischen Standpunkt und lädt zu einer distanzierten, nicht emotionalen Betrachtung des Themas und seiner Arbeit ein. Wie auch der Titel "I Saw it in the Sky" der Installation auf der Kwangju Biennale suggeriert, ist es eben jene distanzierte Betrachtungsweise "aus der Höhe", die eine klare Sicht dieses Ereignisses ermöglicht, das ein Großteil der Weltbevölkerung in Realtime in den Medien miterlebte und dessen Wahrnehmung so effektiv von den Medien bestimmt wurde.

 

Ebenso wie die Medien, arbeitet Yang mit scheinbar disparaten Bildern: arabische Ornamente, eine Boeing, ein Schweizer Messer, der Plan eines Flughafens. Die Kombination und Überschneidung dieser Bilder, die in den Medien jene Vermischung von Ereignis, Emotion und Ideologie generieren kann, dient in diesem Fall jedoch ihrer Analyse. Yang Jiechang geht hier ähnlich vor wie bei seiner Installation "Recreate Dong Cunrui" (1999/ 2002), in der er einen kommunistischen Helden, der sich zum Wohle des Vaterlandes in die Luft sprengte, wieder auferstehen ließ. In "The Central Colour", einem Gespräch, des chinesischen Künstlers Chen Tong mit Yang Jiechang über diese Installation, nimmt Yang auf das Bedürfnis und die Notwendigkeit des Abstandnehmens Bezug: "Meine Erfahrung lehrt mich, die Dinge nicht nur schwarz oder weiß zu sehen, sondern mich auf den Grauton in der Mitte zu konzentrieren. Ohne mich um Richtig oder Falsch zu kümmern, gehe ich mit dem Rücken nach Osten in Richtung Osten. Je weiter ich gehe, desto größer wird der Abstand des Graus und desto mehr Möglichkeiten gibt es. (...) Als ich in den Westen kam, lebte ich zuerst in Deutschland. Deutsche unterscheiden sich von Chinesen auch dadurch, dass sie immer eine Position in der Mitte wählen. Sie haben keinen Klassenfeind, (...), keine patriotischen Ikonen. Sie befürworten solche Dinge nicht. Sprechen sie von Entwicklung, so überlegen sie sich zuerst, wie der Abfall entsorgt werden muss. Schauen sie sich nach einen Feind um, so suchen sie ihn zuerst in sich selbst. So gesehen, bedeutet das Positionieren einer solch eindeutigen schwarz-weißen Heldenfigur wie Dong Cunrui in eine Grauzone, das Rahmenwerk von Richtig und Falsch zu vermeiden."

 

Nach dem 11. September jedoch, in einer Zeit, in der wie in der Ära des Kalten Krieges die Polarisierung von Ideologien wieder eine Rolle in politischen Diskursen spielt und die Attribute "richtig und falsch", "gut und böse" wieder vergeben werden, legt "Der längste Tag" dem Betrachter nahe, die kritische Distanz zu wahren und den "Feind lieber in uns selber zu suchen".

 

Martina Köppel-Yang